Johann Hugo von Orsbeck und der treue Meisterknecht

Dieses Erzählgedicht ist um 1800 entstanden. Sein Autor ist Kanonikus J. H. Steinhausen, dessen Elternhaus in Klein-Vernich (Kreuzstraße) stand. Die Vernicher Schulchronik, die mit diesem Text beginnt, weist mit August Rabuske aus Euskirchen einen Ko-Autor auf und untertitelt die wohl älteste auffindbare Gedicht-Fassung mit "Die Kirche zu Groß-Vernich", verweisend auf die im Erzählgedicht behandelte sagenhafte Entstehungs-Anekdote der Vernicher Kirche. Der Meisterknecht "Hannes" soll Johann Wassenberg gewesen sein und der sagenhafte Birnbaum stand wohl bis 1848 "nahe der Chausee gegenüber der Apotheke" (damals Köln-Trierer-Bezirks-Chausee/jetzt Trierer Straße in Höhe der Johann-Hugo-von-Orsbeck Schule).

 

Zu Vernich stand ein Ritterschloß,
das einsam jetzt in Trümmern liegt,
doch heut' ragt eine Kirche groß,
in Ziegelsteinen fest gefügt.

 

 Ihm nahet eine Dame mild und spricht:
"Was fehlt dir, alter Mann?"
"Herrn Junker Hugo suche ich,
sein Haus doch niemand zeigen kann!"

 

Wer diese Kirche hat erbaut
und ausgestattet reich an Zier,
will ich erzählen treu und traut
in einfach schlichter Weise hier.

 

"Nennt Namen mir und seinen Stand
und sagt, was er allhier hantiert!"
"Er ist der höchste Herr der Stadt,
der höchste Priesterrang ihn ziert!"

 

Vor hundert Jahren zog zu Burgeshöh'n
ein glücklich' edles Ehepaar,
umblüht von Kindern hold und schön,
geliebt von des Gesindes Schar.

 

"Ist's denn vielleicht der Kurfürst gar?"
"O gnäd'ge Frau, so nennt man ihm,
sein Rang mir altem Mann entfiel.
Des Himmels Dank sei Euch verlieh'n!"

 

Vor allem war's der Meisterknecht,
der Hannes, der mit Liebe hing
an seiner Herrschaft wohl und recht,
mit ihren Kindern spielen ging.

 

Die Dame zeigt ihm den Palast
des Fürsten, und der Alte nimmt
den Korb und eilt zum Schloß in Hast
mit neuem Mut und frohgestimmt.

 

Ein Knabe munter, mild und gut
war Hugo, des Burgherren zweiter Sproß,
der gern auf Hannes' Knien ruht,
den liebend Hannes' Arm umschloß.

 

Die Wache herrscht ihn trotzig an:
"Mit deinem Korb pack dich fern!"
Er aber spricht: "Macht freie Bahn!
Ich komm vom Vater Eures Herrn!"

 

Als Hugo, nun gereift zum Jüngling,
das Vaterhaus verlassen sollte,
um auf die hohe Schul' zu zieh'n,
des Hannes Träne heimlich rollte.

 

Jetzt eingelassen durch das Tor,
den stattlichen Hof er durcheilt
und sieht den Bischof in dem Park,
wo betend er im Schatten weilt.

 

Und da die Abschiedsstunde naht,
kniet Hugo zu der Eltern Füßen,
dass sie ihn segnen, eilet dann
zum Hannes, und beider Tränen fließen.

 

Der Alte nimmt die Mütze ab,
ein banges Zittern kommt ihn an,
als er die hohe Durchlaucht sieht
mit mildem Ernst ihm langsam nah'n.

 

Und kam dann in des Jahres Lauf
Herr Junker Hugo zur Vakanz,
so ging des Hannes Herz weit auf,
sein Auge strahlte Freudenglanz.

 

Doch als der hohe Fürst erkennt
das Antlitz von dem braven Knecht,
da reicht er lächelnd ihm die Hand,
als wär er von gräflichem Geschlecht.

 

Dann saß Herr Hugo bei dem bied'ren Knecht,
erzählend viel von seinen Geschicken,
und Hannes horchte zu so recht,
sein Auge hing an Hugos Lippen.

 

"Willkommen Freund", so spricht er Fürst,
"Wie freut mich Dein Erscheinen!
Oft habe ich an Dich gedacht. -
Wie geht es dir, wie geht's den Meinen?"

 

So ging es fort der Jahre zehn, -
Herr Hugo wählt' den Priesterstand,
entzückt sah ihn der Knecht nun steh'n
an dem Altar im Meßgewand.

 

"Gott segne Euer Vaterhaus,
ich lebe ganz zufrieden dort.
Zu einem frohen Tod mir fehlt
nur Euer Segen und Abschiedswort.

 

Der Priester stieg von Rang zu Rang,
erhielt den Trierer Bischofshut,
und mied die Heimat Jahre lang,
besorgend Reich und Kirche gut.

 

Mit Sehnsucht bin ich hergeeilt,
ich konnt' dem Drang nicht widersteh'n,
Herr, Euer liebes Angesicht,
bevor ich sterbe, noch zu seh'n.

 

Der Meisterknecht ward schwach und greis',
doch bliebt er frei von Sorg' und Not,
er war geliebt vom Dienerkreis
und aß der Herrschaft Gnadenbrot.

 

Seht, diese Birnen in dem Korb'
von jenem Baum ich freudig pflückte,
den wir zusammen einst gepflanzt,
als Eure Jugend mich beglückte."

 

Ihn machte froh des Burgherrn Glück
und seiner Kinder edle Art,
doch ward oft tränenfeucht sein Blick:
des Hugos Trennung war ihm hart.

 

Der Kurfürst wandte sich, er hielt
der warmen Tränen Lauf mit Müh'.
Zum Alten er dann huldreich sprach:
"Dein treues Herz vergeß' ich nie!"

 

Betrübt sucht' er die Stelle auf,
wo einst er spielte mit dem Kind
und wo er bei dem Jüngling saß. -
Er seufzt, und seine Träne rinnt.

 

Er führt den Müden in sein Haus,
ihm freundlich dankend für die Gabe,
und läßt ihn ruh'n von Mühen aus
und gibt ihm Speis' und Trank zur Labe.

 

So schritt er einst gedankenschwer
im Herbste durch den Gartenraum,
und plötzlich steht er still umher,
er schaut bis hin zu einem Baum.

 

Der Hofstaat staunt, wie hohe Gunst
dem armen Manne wird gewähret,
der an des Fürsten Tafel sitzt
und doch von Allen wird geehret.

 

"Mein Hugo pflanzte ihn als Sproß,
den jetzt bekränzt der Früchte Last.
Sieh', voll von Birnen schön und groß
neigt erdenwärts sich jeder Ast!

 

Nach dreien Tagen nimmt der Knecht
den Stab, den Heimweg anzutreten.
Ihm reicht der Fürst ein Sümmchen Gold
und spricht: "Du mögest für mich beten!"

 

O wär'st du hier, geliebter Herr,
und säh'st das Werk von deiner Hand,
wie freute sich dein treuer Knecht,
der hier mit dir das Pfropfreis band.

 

Abwehrend da der Alte spricht:
"Für Gold nicht tat ich meine Schritte,
doch, Herr, wollt Ihr mir Gunst verleih'n,
so hab' ich eine fromme Bitte!"

 

O goldner Einfall sei gegrüßt!
Ich fülle in der Morgenfrüh'
von diesen Birnen einen Korb
und trage weit zu Hugo sie!"

 

"Mach' kund den Wunsch, mein alter Freund.
Was Du begehrst, das tu ich gern!"
"Ach, uns're Kirch' ist alt und klein,
Herr, baut sie neu zum Ruhm des Herrn!"

 

Gedacht, getan - voll sel'ger Freud'
besteiget er den schlanken Baum,
füllt schnell den Korb mit Frucht und reist',
als früh der Morgen dämmert kaum.

 

"Ich werde Deinen Wunsch vollzieh'n.
Hier hast Du meine Hand darauf!" -
Bald Vernichs Kirch' in wenig Jahr'n
baut schön und groß der Kurfürst auf.

 

Er zieht bergauf, bergab den Weg,
die Freud' beflügelt seinen Fuß.
Schwer ist die Last, ihm macht sie leicht
des Wiedersehens Vorgenuß.

 

Der erste, dem die alte Glock'
zum Grabe sang vom neuen Turm,
war Hannes, der im sel'gen Tod
zur Ruh' ging aus des Lebens Sturm.

 

Im Sonntagsstaat, den Korb im Arm,
bestaubt und müd' erreichet er
die Residenz am vierten Tag,
und fragt nach Hugo hin und her.

 

Und keinen in dem Dorf es gab,
den nicht des Hannes Tod gerührt.
Und lange stand des Braven Grab
mit frischen Blumen stets geziert.

 

Er fraget links, er fraget rechts:
"Wo wohnt Herr Junker Hugo hier?"
Die Einfalt des treuherz'gen Knechts
wird ausgelacht von Tür zu Tür.

 

Den Birnbaum haben noch geseh'n
viel alte Leut' vor manchen Jahren.
O mögen die Geschichte schön
die Vernicher stets treu bewahren.

 

Als er umsonst oft nachgefragt:
"Wo wohnt Herr Junker Hugo mein?"
Entflieht sein Mut, und weinend setzt
er sich auf einen Brückenstein.